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Projektskizze, Anja Lauper:

Aufschreibweisen des Vampirischen um 1800

Unheimliche Wiederkehr

Die Jahrzehnte vor und nach 1800 sind Schauplatz mannigfacher Umordnungen des epistemischen Diskurses. Innerhalb der empirisch orientierten Wissensformen steigen die Wissenschaften vom Leben zur neuen Leitdisziplin auf. Das Vorhaben einer Schrift des Lebens nimmt Gestalt an. Die Dissertation unter dem Arbeitstitel "Aufschreibweisen des Vampirischen um 1800" schreibt sich von der Kehrseite des neu konstituierten "Lebens" - von der unheimlichen Wiederkehr des Todes her - in diese Prozesse ein. Das Projekt ist an der Schnittstelle von Medizinhistorie, Medientheorie und Literaturgeschichte situiert und nimmt vampiristisches Schreiben um 1800 auf doppelte Weise in den Blick: Erstens wird die Eintragung des Vampirs in den medizinischen und physiologischen Diskurs zwischen 1730 und 1770 im Hinblick auf die spätere Emergenz der Lebenswissenschaften untersucht, die um 1800 den Tod erstmals zum Objekt ihres Wissens machen. Erscheint im Vampirtraktat des 18. Jahrhunderts die vampiristische Erkrankung als Symptom einer Verstörung der Grenze zwischen Leben und Tod, so geht es zugleich darum, den wiedergekehrten Tod im Interesse seiner Integration in die sich konfigurierende Episteme der Moderne still zu stellen.

Frißt der Leib – oder die Seele?

Im Disput der verschiedenen Theorien, die sich in den Dienst einer Aufklärung der unheimlichen Epidemie stellen, konkurrieren die Thesen einer Blutkrankheit des Fiebers mit der einer Nervenkrankheit des Alptraums sowie mit dem Verdacht, bei der "serbischen Krankheit« habe man es mit einer Abart des Scheintodes zu tun. Um 1770 schließlich wird Vampirismus nur noch als ein verschwundenes Phänomen abgehandelt: Mit den Worten Voltaires 1772 in einem Artikel für den "Dictionnaire Philosophique"

"Die Schwierigkeit bestand darin, in Erfahrung zu bringen, ob hier die Seele oder der Körper des Toten fraß"
ist das vampiristische Problem als kapriziöser Abkömmling des von Leibniz thematisierten Leib-Seele-Problems bezeichnet. Mit dem Wiederaufleben der Debatte der Großväter erweist sich vampiristisches Wissen selbst als wiedergängerisch. Bereits 1765 hatte Louis de Jaucourt in seinem Artikel "Vampire" für die "Encyclopédie" den Vampirismus als Musterbeispiel für die Macht des Aberglaubens angeführt und damit das Feld des Aberglaubens hinsichtlich des Vampirismus erst konstituiert. Die Grenze zwischen Wissen und Nicht-Wissen ist damit wieder aufgerichtet.

Dichter und Abfall

Zweitens ist die Frage zu klären, weshalb Vampire als literarische Figuren im Prozeß der Kanonisierung der deutschen Literatur und Poetologie seit 1800 einer flächendeckenden Exkommunikation unterlagen, während sie sich in den Literaturen Frankreichs und Italiens eines langen diskursiven Lebens erfreuten. Anders als sexualtheoretisch orientierte Studien schreibt das Projekt medientheoretische Ansätze mittels Julia Kristevas Theorie des Abjekts weiter. Künftige Dichter werden um 1800 erstmals matrilinear sozialisiert. Das Medium der ABC-Fibeln überträgt die Aufgabe des Sprechen-Machens auf die Mutter, so dass der Muttermund Autoren eine Sprache ohne Schrift halluzinieren lässt. Die mütterlich produzierten Dichter kreisen in ihren Texten um das Transzendentalsignifikat "Der Frau". Damit ist das Aufschreibesystem 1800 zwar schlüssig, aber noch nicht geschlossen: Mit Julia Kristeva läßt sich zeigen, daß dem Phantasma einer sprechen machenden Mutter ein älteres Phantasma einer die Grenzen von Subjekt und Sprache bedrohenden Mutter eingeschrieben ist. Will das Infans "Ich" sagen lernen, muß es dieses älteste in den Spuren des Symbolischen noch auffindbare Phantasma verwerfen. In diesem Theoriezusammenhang gerät das "Abfallprodukt" Vampirismus als zu verwerfende Kehrseite eines "mütterlich produzierten" autonomen Subjekts des deutschen Idealismus in den Blick.

Rauschen der Kriegsmaschine

Schließlich geht es bei der vampiristischen Diskurs immer schon um mediale und politische Zirkulationen. Die Infektionswege sind diejenigen der Schrift, so dass Vampirismus als Effekt seines Mediums gelesen werden kann. Erfolgt die Ansteckung einerseits nach Maßgabe der Sympathie oder Kontiguität und hebelt damit die Genealogie als Ordnungsschema aus, so unterliegt sie andererseits einer politischen Diskrimination, die zugleich Symptom neuer territorialer Grenzziehungen ist. Denn von der Epidemie heimgesucht werden die Bewohner der im letzten Türkenkrieg von 1718 befreiten Gebiete, welche die äußerste und gegen Osten verschobene Grenze der westlichen Zivilisation markieren. Vampirismus erweist sich damit als "reiner Rest" der Vorkriegszeit oder als weißes Rauschen einer latenten Kriegsmaschine.